Infoladeneröffnung und Vortrag

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Am 27.10.2015 möchten wir endlich die Jugendbibliothek für politische Bildung und Sozialgeschichte „Infoladen 78“ in der Reilstraße 78 eröffnen.

Ab 16:00 könnt ihr vorbeikommen und wir geben euch einen Überblick über unseren Bestand und die Nutzung des Infoladens.

Die Bibliotheksbestände wurden gefördert durch Mittel des Bildungsgerechtigkeitsfonds der Stipendiat*innenfonds der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Ab 17:30 wird Harry Waibel (Historiker aus Berlin) einen Vortrag zu Neonazismus und Rassismus in der DDR halten und aufzeigen, wie die SED mit diesem Problem umging.

„Der gescheiterte Antifaschismus der SED“ (Harry Waibel):

Für die DDR (1949 bis 1990) belege ich über 8.500 politische, also neonazistische, antisemitische und rassistische Propaganda- und Gewaltstraftaten. Davon sind etwa 7.000 Angriffe neonazistisch, etwa 900 Angriffe sind antisemitisch (inkl. Friedhofsschändungen) und etwa 700 „Vorkommnisse“ sind Ausdruck des latenten und manifesten Rassismus. Diese 700 „Vorkommnisse“ beinhalten über 200 rassistische Pogrome und pogromähnliche Auseinandersetzungen, bei denen Ausländer (Afghanen, Algerier, Kubaner, Japaner, Indonesier, Jemeniten, Jugoslawen, Mosambikaner, Polen, Sowjetische Bürger, Syrer, Tschechoslowaken, Tunesier, Türken, Ungarn und Vietnamesen) Opfer von Rassisten und Neonazis geworden sind.

Entgegen der viel verbreiteten Ansicht in Hoyerswerda hätte es 1991 das erste rassistische Pogrom in der deutschen Nachkriegsgeschichte gegeben, ist es tatsächlich so, das in Erfurt im August 1975 das erste rassistische Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte stattgefunden hat, als algerische „Vertragsarbeiter“ über mehrere Tage hinweg von Mobs durch die Stadt gejagt wurden. Der erste Angriff eines deutschen Mobs auf ein Wohnheim, ähnlich dem von 1991 in Hoyerswerda, fand im Februar 1977 in Dessau statt, als ein Wohnheim für algerische Arbeiter mit Steinen angriffen wurde. Für die DDR sind über 30 rassistische Angriffe auf Wohnheime von ausländischen Arbeitern belegt.

In Merseburg wurden im August 1979 zwei Kubaner getötet und anschließend sorgte die Partei- und Staatsführung der DDR mit einem Verbot dafür, dass Ermittlungen durch Staatsanwaltschaft und Volkspolizei nicht stattfanden. Es wird noch juristisch zu prüfen sein, ob und wie ein neues Ermittlungsverfahren zur Aufklärung der Umstände des Todes der beiden kubanischen Arbeiter möglich ist.

Seit 1990 weisen die offiziellen Erhebungen (BMdI) zu rechtsextremistischen Straftaten eine anhaltende Schräglage insofern aus, als in den neuen Bundesländern, relativ gesehen, also in Bezug zur Anzahl der Bevölkerung, zwei bis drei Mal mehr Angriffe erfolgen, als in den westlichen Bundesländern. Verschärft wird diese Erkenntnis noch dadurch, dass der Anteil von Ausländer_innen im Osten Deutschlands mit bis zu 2,5 Prozent erheblich unter dem Niveau im Westen Deutschlands liegt, dass von 4,8 bis 13,4 Prozent reicht. Diese signifikante Differenz weist auf die entscheidende Ursache hin, nämlich auf den gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus der DDR.

Durch diese Tatsachen gerät der Antifaschismus in tief greifende Erschütterung, hat er doch die rassistische, neonazistische und antisemitische Entwicklung in der DDR weder in ihren Ansätzen verhindern können, noch konnte er sie stoppen. Die Ursachen für dieses Versagen liegen in der Geschichte, Ideologie und Politik des Antifaschismus der Linken begründet und die Verleugnung und Verdrängung bis in die Gegenwart hinein hat gravierende Folgen für die Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit dieses gescheiterten Antifaschismus.

Der Vortrag wird gefördert durch die Rosa-Luxemburg Stiftung Sachsen-Anhalt.