Stellungnahme zu den Anschuldigungen der Transfeindlichkeit und unserem Umgang damit

Ein paar Worte vorweg: dies ist kein politisches Statement oder ein Debattenbeitrag. Wir versuchen hier einzig die Grundsätze und Handlungen des gemeinsamen, selbstorganisierten Arbeitens und Lebens in unserem Projekt zu reflektieren und zu erklären. Damit erhoffen wir uns, zu einer Verständigung im gegenwärtigen Konflikt um Transfeindlichkeit beizutragen.
Seit einiger Zeit erreichen uns Zuschriften von Freund*innen, Bands, Gruppen und Einzelpersonen, in denen es um vermeintliche und tatsächliche transfeindliche Vorfälle bei uns im Projekt geht. Wie konnte es so weit kommen?

Hierfür halten wir eine Aufklärung der Vergangenheit zum Verständnis des Status quo für notwendig, um einen Einblick in die Gesamtsituation zu erlangen und sich eine eigene Meinung bilden zu können. (Hinweis: Dabei können wir keine Vollständigkeit gewährleisten und versuchen daher den Fokus auf Vorkommnisse zu setzen, die im Bezug zu unserem Projekt stehen.)

Als im Herbst 2021 die AG Antifa zu einem Vortrag „Austreibung der Natur. Zur Queer- und Transideologie der Gegenwart“[1] mit anschließender Diskussion ins VL einlud, kam es zu einer angemeldeten Gegenkundgebung vor dem linken Wohn- und Kulturprojekt. Hier wurde ein verleumderisches Flugblatt[2] gegen die Veranstalter*innen und das VL verteilt. Weiterhin kam es im Vorfeld zu einem Leak des Sicherheitskonzeptes des VLs, das einen reibungslosen Ablauf der Veranstaltung garantieren sollte. Auf der Kundgebung kam es zu Aufrufen zu körperlicher und sexueller Gewalt. Dies veranlasste uns im Anschluss an die Geschehnisse, sich mit dem VL zu solidarisieren. Hier begann die Auseinandersetzung zwischen einer mehr ,materialistisch‘ und einer stärker ,queertheoretisch‘ geprägten Geschlechtsauffassung in der hallischen linken Szene, zu der wir uns nie positionierten und auch nicht wollen bzw. können. Im Nachgang des Vortrages kam es zum Auflösungsantrag des AK Antifa.[3] Hierzu unterschrieben wir einen offenen Brief, der sich für den Erhalt des AK Antifa aussprach. Trotz unserer unterschiedlichen Positionen zur Arbeit des AKs basierte die Unterzeichnung auf unserem Konsens, dass die Auflösung und das Entziehen finanzieller Mittel antifaschistischer Strukturen ein autoritäres Mittel ist, das wir als falsch beurteilen.

Die Drohung der Auflösung befeuerte in den Folgemonaten den Konflikt zu immer weiteren Zerwürfnissen und gelangte zu seinem vorläufigen Tiefpunkt, indem es im Anschluss an eine Demonstration zu Gewaltandrohung gegen unsere Partygäste kam. Zitat: „Ich gehe heute in die Reile und ershOOte den ersten Schwanz, den ich von den Krauts wieder erkenne“.[4]

Grundsätzlich sehen wir Gewalt(-androhungen) nicht als geeignetes Mittel für eine plurale, innerlinke Debatte.

Zuletzt erreichte der Disput seinen wohl endgültigen Tiefpunkt, als bekannt wurde, dass es zu einer umfassenden Zusammenarbeit mit den staatlichen Repressionsorganen von Seiten einzelner Stura-Mitglieder kam.[5]

Was hat das nun alles mit uns zu tun?
Ob gewollt oder nicht, sind wir Teil des Konflikts. Es gibt einen Song einer Thüringer Punkband, die dazu aufruft, uns Steine in die Fenster zu schmeißen. Wir werden auf die Gruppe Artemis und ihre Aufkleber[6] angesprochen. Zur Gruppe Artemis sei gesagt, dass auch sie das Haus nutzen. Die Gruppe ausschließlich durch ihre Sticker (die auch in unseren Plena kontrovers diskutiert wurden) zu definieren und im nächsten Atemzug dann gleich die gesamte Reile mit dieser Gruppe gleich zu setzen, ist eine komplett verzerrte Darstellung der Gruppe und unseres Projekts. Wir verfolgen als Haus keine reglementierende Stickerpolitik, solange die Sticker nicht eindeutig unseren gemeinsamen Verhaltens- und Wertgrundsätzen widersprechen.

Wir möchten nicht verschweigen, dass es im Haus vereinzelt zu transfeindlichen Vorfällen (beispielsweise abfällige Kommentare und bewusstes Deadnaming) kam. Wir bedauern es, wenn Menschen diskriminierende Erfahrungen machen mussten. Dies als strukturelles Problem unseres Projektes zu begreifen, erachten wir jedoch als verkürzt und falsch.

Selbstverständlich stellen wir uns der Aufklärung und Aufarbeitung derlei Fälle, sofern uns diese bekannt werden. Wir möchten immer wieder betonen: Bewusstes Deadnaming, herabwürdigende Witze über transgeschlechtliche Personen oder sonstige Beleidigungen dulden wir in keinster Weise und diese haben keinen Platz bei uns.

Die Reil78 existiert nun seit über 20 Jahren als offenes, linkes, soziokulturelles, autonomes Zentrum. Wir verstehen uns als undogmatischen Ort für Begegnung, Organisation, Austausch und Debatte, ob subkulturell oder politisch. Bei uns sind – von links bis „linksextrem“[7] oder einfach nur auf der Suche nach einem freieren Leben – alle vertreten und das betrachten wir als einen Vorteil.

Natürlich gehört dazu auch gegenseitige Kritik. Kritik dient uns als Waffe, wie auch Schlüssel zur Selbstreflexion und Schärfung der eigenen Urteilskraft. Dazu gehört auch die Hinterfragung eigener, sicher geglaubter Gewissheiten.

Wir stellen uns der Aufarbeitung von diskriminierendem Verhalten in unseren Räumlichkeiten. Gleichzeitig hört Kritik für uns auf, sobald sie zur Drohung, Dämonisierung oder einzig zur Schädigung unseres Projekts dient und sich jeglicher Problemlösung verwehrt. Jede Person, Gruppe oder Band, die diese Auffassung mit uns teilt, findet bei uns einen Platz. Wir setzen uns für ein Hausprojekt ein, in dem man ‚ohne Angst verschieden sein kann.‘ Dies bedarf der gegenseitigen Anerkennung, dem Respektieren individueller Freiheit und der Solidarität untereinander.

Jede*r ist bei uns gleichermaßen willkommen, unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung oder sonstigen repressiven Differenzierungsmerkmalen.

Falls du doch Diskriminierung und/oder sexuelle Belästigung in unseren Räumen erfahren hast, haben wir eine vom Hausplenum unabhängige Arbeitsgruppe, die dir je nach Fall und Bedarf hilft und dich versucht zu unterstützen. An diese kann sich jederzeit vertraulich gewandt werden: r78support@riseup.net[8]

Wir laden alle ein, sich gerne ein eigenes Bild von uns zu machen. Gestaltung lebt von Teilhabe.
Komm gerne zu unserem offenen Hausplenum montags 19:30 Uhr oder schreib uns eine Mail, falls bei dir noch Fragen offen geblieben sind: reil78@yahoo.de


[1] https://www.facebook.com/events/603824857285471/

[2] Flugblatt „Warum sind wir heute hier“

[3] Der Arbeitskreis Antifaschismus an der Uni Halle wurde von der AG Antifa organisiert

[4]

[5] Hierzu könnt ihr mehr lesen, unter: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179679.studierendenrat-linke-helfen-der-polizei-in-halle.html, https://jungle.world/artikel/2024/06/halle-linke-polizei-anna-und-arthur-schuetteln-den-kopf

[6] https://www.instagram.com/gruppe.artemis.halle/

[7] Wir werden regelmäßig vom Verfassungsschutz oder rechten Spinnern als linksextrem gelabelt: https://www.mz.de/lokal/halle-saale/zum-nulltarif-an-linksextreme-strukturen-afd-stadtrate-wollen-reil78-verbieten-1705683

[8] https://reil78.de/contact/