Vortragsreihe ‚aufgetaucht‘

  • Beitrags-Kategorie:2016

Vortragsreihe ‚aufgetaucht‘

aufgetaucht

Wahnmachen. Eine Adoleszenzkrise des völkischen Protests

Vortrag von Tom Uhlig
Die „Montagsmahnwachen für den Frieden“, welche seit dem Frühjahr 2014 in bis zu 90 deutschen Städten stattfinden, sind mit dem Auftritt von „Pegida“ weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Dennoch überdauern ideologische Motive der Mahnwachen in den nachfolgenden ‚neurechten‘ Bewegungen, welche eine Untersuchung der Mahnwachen ‚in statu nascendi‘ beobachten kann. Gegründet in der Absicht, eine befürchtete militärische Konfrontation der NATO mit Russland zu verhindern, entwickelten sich die Mahnwachen schnell zu einem Forum für eine Vielzahl von Verschwörungstheorien, welche internationale Politik wie auch Phänomene der alltäglichen Lebenswelt erklär- und damit handhabbar machen sollten. Die konspirationistischen Weltdeutungsmuster einen sich darin, eine sinistre Fremdgruppe, welche mit den USA und Israel konnotiert sind, hinter allem Übel ausmachen zu wollen.
In dem Vortrag soll versucht werden, den Antiamerikanismus und (strukturellen) Antisemitismus der Konspirationisten auf seine psychosoziale Bedeutung hin zu befragen. Dabei steht zum einen die komplexitätsreduzierende Logik der Verschwörungstheorien im Vordergrund, welche auf (Krisen-)Erscheinungen des Kapitalismus reagiert indem sie deren abstrakte Dimension in der vermeintlichen Feindgruppe verdinglicht. Zum anderen, soll untersucht werden, wie es den Agitatoren auf den Mahnwachen gelingt, die realitätsverzerrende Polyphonie der Verschwörungstheorien in eine konzentrierte Masse zu überführen, anstatt dass diese dem Narzissmus der kleinen Differenzen anheim fallen. Zuletzt wird diskutiert, welche Bedeutung dem verdinglichte Gegner für die eigene (nationale) Identität zukommt.
Tom Uhlig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Psychoanalytische Kulturwissenschaften der International Psychonanalytic University (IPU) Berlin.
Donnerstag | 05.05.2016 | 19:00

Work Hard Play Hard

Dokumentarfilm von Carmen Losmann
Der Film zeigt an verschiedenen Schauplätzen, wie der Kapitalismus in modernen Arbeitsverhältnissen zunehmend versucht die Emotionen und Persönlichkeit der Arbeitenden zu mobilisieren. Die klassische Trennung von Privats- und Arbeitssphäre, die sich früher als funktional erwiesen hat, wird dabei tendenziell aufgehoben. Die Rolle von Emotionen beschränkt sich nicht mehr auf die Reproduktion und Erholung von der Arbeit, sondern wird selbst Teil derselben. Dabei müssen emotionale und kommunikative Fähigkeiten als wünschenswert entwickelt werden, was eine zunehmende organisatorische und individuelle Verwaltung von Motivation und softskills hervorbringt. Dem steht auf der anderen Seite die erwartete Mobilität und Flexibilität entgegen, die eine Entindidualisierung immer weiter vorantreibt Diese Entwicklung und welche Rolle dabei der (Arbeits- und Organisations-) Psychologie zukommt wollen wir anhand eines kurzen Einführungsreferates und des Films mit euch diskutieren.
Der Film gewann 2014 den Grimme-Preis.
Donnerstag | 19.05.2016 | 19:00

Neuromythologie. Ein kritischer Blick auf Erklärungsmodelle der Hirnforschung

Vortrag von Felix Hasler
Seit der Proklamation der Dekade des Gehirns zu Beginn der 1990er Jahren haben die Neurowissenschaften einen Siegeszug ohnegleichen durchlaufen. Weit über die Grenzen der Naturwissenschaften hinaus durchdringen Erklärungsmodelle aus der Hirnforschung frühere Hoheitsgebiete der Geistes- und Sozialwissenschaften. Es gibt kaum mehr eine Wissenschaftsdisziplin, die sich nicht mit dem Vorsatz „Neuro-“ modernisieren und mit der Aura vermeintlicher experimenteller Belegbarkeit veredeln liesse. Die Flut von „Neuro-X-Disziplinen“ wie Neuroökonomie, Neuromarketing, Neuropsychoanalyse, Neuroästhetik oder Neurosoziologie suggeriert: Hier wird ein streng wissenschaftlicher Weg beschritten, um das „Wunder Mensch“ zu erklären.
Auch wenn die „Neuen Wissenschaften des Gehirns“ in der Öffentlichkeit gerne den selbstsicheren Auftritt pflegen – die Diskrepanz zwischen proklamierter lebensweltlicher Relevanz und der Belastbarkeit der empirischen Daten ist beträchtlich. Der Neuromythologie-Vortrag beschäftigt sich mit den historischen Ursachen und den gesellschaftlichen Auswirkungen des neuroscientific turns. Eine grundlegende Kritik am Welterklärungsanspruchder Neurowissenschaften.
Felix Hasler ist Forschungsassistent an der Berlin School of Mind and Brain der Humboldt-Universität Berlin. Sein wissenschaftskritisches Buch „Neuromythologie. Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung“ ist im November 2012 erschienen.
Donnerstag | 09.06.2016 | 19:00

Die Geschlechterordnung und der „Trieb“

Vortrag von Sebastian Winter
Die Psychoanalyse ist von Beginn an in feministischen Bewegungen und der Geschlechterforschung interessiert und kontrovers aufgenommen worden. Das Konzept des „Triebes“ und seiner diversen Schicksale ermöglichte eine radikale Kritik der Annahme angeborener Geschlechtscharakter, wurde aber immer wieder im Gegenteil auch gelesen als Behauptung einer biologischen Festlegung der Sexualität. In dieser Veranstaltung soll der schillernde Triebbegriff genauer beleuchtet werden. Der Trieb, im Unterschied zu den Instinkten der Tiere, ist etwas Leibliches und gleichwohl sozial Gewordenes, etwas Subversives und Konservatives, etwas Zielgerichtetes und Unersättliches. Er ermöglicht es, die Forschungen zur Sozialisation heteronormativer Geschlechtsidentitäten um eine leiblich-affektive Ebene zu ergänzen.
Sebastian Winter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am „Interdisziplinären Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung“ (IFF) der Universität Bielefeld und Mitglied des Koordinationsteams der Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie. Er promovierte mit einer Arbeit zum Thema „Geschlechter- und Sexualitätsentwürfe in der SS-Zeitung Das Schwarze Korps. Eine psychoanalytisch-sozialpsychologische Studie“.
Donnerstag | 23.06.2016 | 19:00

Von der Psychoanalyse zur Gesellschaftskritik: Erich Fromms Konzeption einer Humanistischen Psychologie

Vortrag von Uwe Wolfradt
Erich Fromm (1900-1980) gehört zu den bedeutenden Vertretern der Neo-Psychoanalyse und der Humanistischen Psychologie. Sein Denken ist auch heute noch aktuell und stellt Kernfragen des menschlichen (Zusammen-)Lebens. Ausgehend von eigenen biographischen Erfahrungen der Emigration als Wissenschaftler jüdischer Herkunft versucht er eigene Prägungen im Judentum und der Psychoanalyse fruchtbar für eine neue Betrachtung der sozio-kulturellen Bedingungen des Menschen nach den Erfahrungen des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts zu machen. Unter Einbezug der Sozialpsychologie untersuchte Fromm die destruktiven Quellen und die unbewussten Triebkräfte des menschlichen Verhaltens. Warum entwickelt der Mensch immer wieder Formen der autoritären Unterwürfigkeit und fürchtet sich vor individueller Freiheit. Hierbei konzipiert er Menschlichkeit als eine produktive Orientierung, die auf persönlichem Wachstum angelegt ist und als Liebe zum Lebendigen (Biophilie) zu verstehen ist. Demgegenüber steht Nekrophilie für Fromm für eine Orientierung am Zerstörerischen und an der toten Materie. Er plädiert für einen Weg nach Innen, wie er durch den Buddhismus vorgezeichnet ist, mit dem er sich intensiv auseinandersetzt. Nur über Selbstanalyse und Selbsterkenntnis kann sich der Mensch der Praxis der Unmenschlichkeit bewusst werden und von einem Modus des Habens zu einem Modus des Seins wechseln.
Uwe Wolfradt ist außerplanmäßiger Professor am Institut für Psychologie der Universität Halle
Donnerstag | 30.06.2016 | 19:00